Nach derzeitigem Stand wird sich die Justizministerkonferenz am Donnerstag und Freitag in dieser Woche mit etwa 70 Tagesordnungspunkten befassen. Die meisten Punkte betreffen länderübergreifende Themen, insbesondere mögliche rechtliche Anpassungen durch den Bundesgesetzgeber. Die wichtigsten Initiativen aus Hessen hat Justizminister Roman Poseck heute in Wiesbaden vorgestellt und vorab betont:
„Gerade in dynamischen und unsicheren Zeiten ist es erforderlich, den rechtlichen Rahmen im Hinblick auf neue Entwicklungen zu überprüfen und, falls erforderlich, anzupassen. Dies gilt für alle Rechtsgebiete, wobei im Justizbereich überwiegend eine Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers gegeben ist. Die Justizministerkonferenz ist daher ein wichtiges Forum für die Diskussion, die Meinungsbildung und die Weiterentwicklung des Rechts. Ich freue mich auf die Beratungen mit den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ländern. Sehr erfreulich ist auch, dass Bundesjustizminister Marco Buschmann wiederum seine Teilnahme zugesagt hat. Er hebt sich damit auch von Vorgängerinnen und Vorgängern ab, die eher selten teilgenommen haben.“
Die hessischen Initiativen umfassen unter anderem folgende Themen:
Sondertribunal aus Anlass des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine
Die hessische Initiative will ein Signal für die Einrichtung eines Sondertribunals setzen. Sie unterstützt damit auch politische und wissenschaftliche Initiativen mit der gleichen Zielrichtung, wie beispielsweise die „Nürnberger Erklärung zum Verbrechen der Aggression“ der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien vom 8. Mai 2023. Die hessischen Initiative erachtet ein Sondertribunal gegenüber der Erweiterung einer Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes als vorzugswürdig, da in Anbetracht der Haltung der Vereinigten Staaten eine solche Zuständigkeitserweiterung als wenig realistisch erscheint.
„Der russische Angriffskrieg fordert auch die rechtsstaatlichen Mechanismen heraus. Es ist richtig, schon jetzt Vorbereitungen für eine strafrechtliche Verfolgung der Verbrechen mit den Mitteln des Rechtsstaats zu treffen. Auch die Justizministerkonferenz sollte ein gemeinsames rechtsstaatliches Signal setzen und entsprechende Bemühungen unterstützen. Es muss auch darum gehen, andere Diktatoren von kriegerischen Auseinandersetzungen abzuhalten“, erläuterte Roman Poseck.
Erweiterung des Gewaltschutzgesetzes um die Möglichkeit des Einsatzes der elektronischen Fußfessel
Die hessische Initiative zielt auf eine Erweiterung der nach dem Gewaltschutzgesetz möglichen gerichtlichen Maßnahmen. Bislang kommt der Einsatz elektronischer Fußfesseln zur Überwachung der Maßnahmen, die ein Gericht im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes angeordnet hat, insbesondere bei einem Annäherungsverbot, nicht in Betracht. Im Interesse der Sicherheit von (Ex-)Partnerinnen und (Ex-)Partnern sollte der Einsatz von Fußfesseln in die Reihe grundsätzlich möglicher Maßnahmen aufgenommen werden. Hessenweit werden jährlich ca. 3.500 Verfahren vor den Familiengerichten zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung nach dem Gewaltschutzgesetz durchgeführt.
„Fast 150 Femizide pro Jahr in Deutschland dürfen uns nicht kalt lassen. Viele dieser Fälle sind durch eine Eskalationsspirale gekennzeichnet, die mit den bisher zur Verfügung stehenden Instrumenten nicht durchbrochen werden konnte. Wir müssen den Schutz von Frauen vor gewalttätigen (Ex-)Partnern verbessern. Die Erweiterung des Gewaltschutzgesetzes, für das der Bundesgesetzgeber zuständig ist, ist dafür eine zentrale Schaltstelle. Wir haben mit der Fußfessel in anderen Zusammenhängen sehr gute Erfahrungen gemacht. Es spricht daher viel dafür, dass sich mit ihrem Einsatz in besonderen Fallkonstellationen auch ein Sicherheitsgewinn bei eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen (Ex-)Partnern erreichen lässt. Das Verbot des Betretens bestimmter Zonen ließe sich so in Fällen mit hohem Risiko weiterer Eskalationen besser überwachen. Im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes ausgesprochene Annäherungsverbote könnten damit viel effektiver durchgesetzt werden.
Aus Anlass der Diskussion in Hessen zu dieser Initiative will ich noch einmal deutlich machen, dass es bei dieser nicht um Landesrecht und damit auch nicht um eine erneute Verwertung in Hessen bereits beschlossener Maßnahmen geht. Im Mittelpunkt steht vielmehr eine mögliche Änderung des Gewaltschutzgesetzes. Dies ist ein neuer, weitergehender Ansatz. Das Gewaltschutzgesetz ist Bundesrecht, weshalb die Justizministerkonferenz auch der richtige Ort für die Initiative ist. Die in Hessen angestoßenen polizeirechtlichen Regelungen und die angestrebte Erweiterung der Möglichkeiten nach dem Gewaltschutzgesetz sollten sich ergänzen, aber im Interesse eines möglichst hohen Schutzniveaus für Frauen keinesfalls ausschließen. Den präventivrechtlichen Maßnahmen nach Landesrecht und solchen nach dem bundesrechtlichen Gewaltschutzgesetz liegen unterschiedliche Voraussetzungen, Anwendungsbereiche, Ziele und Anordnungskompetenzen zugrunde. Deshalb ist es notwendig, beide Bereiche in den Blick zu nehmen. Ungefähr 40.000 Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz pro Jahr in Deutschland zeigen, wie wichtig es ist, den Instrumentenkasten des Gewaltschutzgesetzes umfassend und effektiv auszugestalten“, führte Roman Poseck aus.
Prüfung einer möglichen Strafvorschrift für Fake News im Wahlkampf mittels Social Bots
Die hessische Initiative möchte einen Diskussionsprozess an einer gesellschaftlich, politisch und rechtlich schwierigen Schnittstelle in Gang setzen. Es soll eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden, die ergebnisoffen prüft, ob und in welcher Form die Verbreitung von Fake News zur Manipulation des Wahlkampfs unter Strafe gestellt werden sollte.
„Dieses Thema bewegt sich in einem schwierigen Spannungsfeld. Auf der einen Seite ist das Risiko massiver Wahlbeeinflussungen in Zeiten von Social Bots immens. Die Demokratie kann dadurch erheblichen Schaden nehmen. Möglicherweise stehen wir bei der Tragweite dieses Problems eher an einem Anfang, weil sich Fake News mit den neuen Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz immer leichter erstellen und verbreiten lassen. Auf der anderen Seite sind Lügen und falsche Aussagen bislang aus guten Gründen in der Regel nicht strafbar. Unsere Demokratie muss auch eine erhebliche Spannbreite unterschiedlicher, auch objektiv falscher sowie unseriöser Beiträge aushalten, ohne darauf mit den Mitteln des Strafrechts zu reagieren. Wir leben nach wie vor in einer stabilen und souveränen Demokratie. Deshalb ist mein Beschlussvorschlag zu diesem Thema auch sehr offen gefasst. Das schwierige Thema scheint mir in einer fachlich ausgerichteten Arbeitsgruppe derzeit am besten aufgehoben. Hessen ist bereit, dabei die Federführung zu übernehmen“, sagte Roman Poseck.
Prüfung einer möglichen Strafschärfung für Fälle der Sprengstoffexplosion zum Zwecke des Diebstahls
Bei dieser hessischen Initiative geht es insbesondere auch um die Fälle der Geldautomatensprengungen. Der Bundesjustizminister soll um Prüfung eines eventuellen Änderungsbedarfs im Strafrecht gebeten werden, wobei auf Wertungswidersprüche beim Mindeststrafmaß zwischen den Geldautomatensprengungen (1 Jahr) und dem „klassischen“ Bankraub (5 Jahre) hingewiesen wird.
„Wir brauchen einen umfassenden Ansatz zur Bekämpfung der Geldautomatensprengungen. Dazu gehören sowohl präventive als auch repressive Maßnahmen. Es ist richtig, die Banken zu besseren präventiven Maßnahmen anzuhalten. Schutzmaßnahmen, wie das Verkleben und Verfärben von Geldscheinen, sind hier der richtige Weg. Daneben bleibt aber auch die Abschreckungswirkung des Strafrechts wichtig, zumal es sich überwiegend um international operierende Tätergruppen handelt. Selbst wenn es gelingen sollte, die Geldautomatensprengungen durch präventive Schutzvorkehrungen unattraktiv zu machen, wird es weiter Kombinationen von Sprengstoffexplosion und Diebstahl geben, so zum Beispiel neuerdings auch bei Diebstählen in Juweliergeschäften unter Verwendung von Sprengstoff. Diese Kombination ist besonders gefährlich und verwerflich. Dies sollte sich auch im Strafrecht in entsprechenden Strafdrohungen wiederfinden“, erläuterte Roman Poseck dazu.
Vielklägergebühr im sozialgerichtlichen Verfahren
Diese Initiative beschäftigt sich mit dem Problem rechtsmissbräuchlicher Vielkläger in der Sozialgerichtsbarkeit. Hessen stellt in der Initiative konkrete Reformansätze vor, wie die Einführung einer Vielklägergebühr.
„Es muss dringend ein angemessener Ausgleich zwischen berechtigtem Rechtsschutzinteresse und missbräuchlicher Inanspruchnahme der Sozialgerichte gefunden werden. Querulatorische Verfahren binden erhebliche personelle Ressourcen in der Justiz, ohne dass mit ihnen ein berechtigtes Rechtsschutzinteresse verfolgt wird. An einem hessischen Sozialgericht hat beispielsweise ein einziger Kläger 323 erfolglose erstinstanzliche Verfahren und am hessischen Landessozialgericht hat ein einziger Kläger 675 zweitinstanzliche erfolglose Verfahren geführt. Diese Vielzahl an Verfahren belastet die Richterinnen und Richter sowie die Serviceeinheiten und verbraucht erhebliche zeitliche Ressourcen. Um dieses umfassende Problem in den Griff zu bekommen, muss der Bundesgesetzgeber tätig werden. An der grundsätzlichen Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens, die Ausfluss des Sozialstaatsprinzips ist, darf nicht gerüttelt werden. Kläger, die diese Kostenfreiheit allerdings missbrauchen und die Gerichte ohne eigene Risiken massenhaft mit aussichtslosen Klagen fluten, sollten diese aber nicht mehr grenzenlos in Anspruch nehmen dürfen. Hier wäre die Einführung einer Vielklägergebühr ein geeigneter Ansatz“, führte Roman Poseck weiter aus.
Anpassung des nationalen Strafverfahrensrechts an das e-Evidence-Paket
Die EU hat mit dem e-Evidence-Paket neue Möglichkeiten der länderübergreifenden Strafverfolgung geschaffen. Insbesondere ermöglichen es die neuen Vorschriften den Justizbehörden und Gerichten zukünftig erstmals, bindende Ermittlungsanordnungen unmittelbar an Anbieter von Internetdiensten in einem anderen Mitgliedstaat zu richten – ohne vorherige Beteiligung der Justizbehörden dieses Staates. Die hessische Initiative ist darauf gerichtet, den notwendigen Gleichlauf der europaweiten Möglichkeiten und des nationalen Strafverfahrensrechts sicherzustellen.
„Die EU-Regeln sind ein Meilenstein für eine effektive Strafverfolgung über Ländergrenzen hinweg. Die EU ist damit auch ein Gewinn für unsere Sicherheit. Täter können sich in der EU nicht mehr sicher fühlen. Nun muss es darum gehen, die nationalen Regeln an die europaweit geltenden Möglichkeiten anzupassen. Es muss verhindert werden, dass eine deutsche Staatsanwaltschaft in Deutschland weniger Kompetenzen hat als eine Staatsanwaltschaft aus dem EU-Ausland in Deutschland“, sagte Roman Poseck.